Dent Blanche, 4357m -- Wandfluegrat

Als ich in der Nacht aufwache, bemerke ich beidseits ein intensives Schnarchen. Auf meiner rechten Seite liegt noch J.O. zwischen mir und dem Schnarcher, links neben mir bekomme ich die volle Dröhnung, da der Abstand zum Gesicht meines Nachbarn ca. 50cm beträgt. Ich nehme diese Situation zum Anlass, etwas Flüssigkeit los zu werden, das Fenster im Lager zu öffnen und die Ohrstöpsel zu verwenden, um wenigstens noch etwas Schlaf zu bekommen.
So werde ich auch tatsächlich erst wach, als J.O. mich sanft anstupst. Es ist 03:45 Uhr, und mit uns stehen fast alle Bewohner der Hütte auf. Wir schaffen es tatsächlich, bereits um 04:30 Uhr angerödelt vor der Hütte zu stehen, wo uns ein so starker Wind begrüßt, dass wir sofort noch die Softshells überziehen.
Ach ja, das Wetter! Eigentlich sollte heute ein zwar frischer, aber durchaus sonniger Tag werden. Nun, für die Sonne ist es natürlich noch zu früh, aber von einem sternenfunkelnden Nachthimmel ist leider auch nicht viel zu sehen.
Gleich hinter der Hütte beginnt ein blockiger Felsrücken, den ich schon gestern recht unübersichtlich fand. So versuche ich, mich an den vor uns gehenden Führerseilschaften zu orientieren. Die legen ein solches Tempo vor, dass wir schnell ins Schnaufen kommen. Aber so verrennen wir uns nicht gleich zu Beginn.

Das ist kein Dent Blanche - Gespenst

Am Ende dieses Felsteils wartet ein mäßig steiler Firnhang auf uns, und so legen wir die Steigeisen an, die wir dann für die gesamte Tour tragen werden. Ich versuche nun, mein eigenes Tempo zu gehen, um meine Kräfte etwas zu schonen. Ohnehin bin ich im Moment eher der Meinung, dass heute nicht unbedingt mein Tag ist. Obwohl die Schwierigkeiten noch nicht einmal richtig begonnen haben, empfinde ich schon eine gewisse Anstrengung. Der kalte Wind, der Nebelfetzen an uns vorbeitreibt, und die Dunkelheit tun ein Übriges.


Auf ca. 3800m Höhe

Es folgt ein erster, technisch einfacher, Felsgrat. Danach müssen wir eine steile Firnflanke queren, um an den Beginn des eigentlichen Südgrates zu gelangen. Bis hierhin haben wir 1,5 Stunden benötigt und stehen nun in ca. 3900m Höhe.

Am Beginn des Felsgrates in 3900m Höhe leuchten ein paar Stirnlampen

Zunächst ist der Grat nicht schwierig, und wir gehen noch ohne Seil.


Zunächst ohne Schwierigkeiten auf dem Grat

Dann erreichen wir den ersten Turm, den man laut Führer auf der linken Seite umgeht. Die Felsen sind steil und firndurchsetzt. Wir packen das Seil aus. Inzwischen haben wir auch die vor uns gehenden wieder eingeholt, da es sich hier aufgrund der technischen Anforderungen etwas staut.


Am Beginn der Umgehung des ersten Turms

Wir gehen abwechselnd am langen Seil und legen einige Zwischensicherungen. Die zweite Seillänge führt eine steiles Firnstück zu einem Block hinauf. Von hier sind in regelmäßigen Abständen Stangen angebracht, die wir als Sicherungen nutzen. So erreichen wir bald den Grat hinter dem ersten Turm.


Ich habe den Grat hinter dem ersten Turm fast wieder erreicht und sichere Jan Oliver nach

Hier ist das Gelände sehr ausgesetzt, und es dauert nicht lange, bis wir den nächsten Aufschwung vor uns sehen.


Am Grat zwischen den Türmen

Einige Seilschaften steigen nun direkt weiter gerade hoch, doch im Führer steht, dass man den Turm rechts umgeht. Ich finde, dass diese Lösung nicht schlecht aussieht. Wir verkürzen das Seil und folgen kurz etwas unschönem Gelände, bis wir gut gangbaren Firn erreichen. Schräg aufwärts querend kommen wir wieder in leichteres Felsgelände, das wir zum Grat hinter dem Turm aufsteigen.


Eine Seilschaft unter uns bei der Querung des zweiten Turms

Das Wetter ist leider immer noch nicht so gut. Zwar hat der Wind etwas nachgelassen, aber nach wie vor zieht beständig Nebel von unten den Grat empor, und so sehen wir immer nur ein Stück des Weiterwegs vor uns. Von einer Sicht in die weitere Umgebung kann keine Rede sein.
Wir klettern ein Stück den erneut scharfen Grat entlang und erreichen nach kurzer Zeit den dritten Aufschwung. Dieser soll wiederum links umgangen werden. Diese Querung sieht ziemlich anspruchsvoll aus. Ich klettere voraus und komme an zwei Bohrhaken vorbei zu einem Stand. Dann folgt noch eine schwierige Passage an einigen Haken vorbei, bis wir ein Stück hinter dem Turm wieder am Grat ankommen.
Hier begegnet uns die erste vom Gipfel zurückkehrende Seilschaft. Sie gehen nicht in die Flanke sondern am Grat auf den Gipfel des Turms zu. Also vermuten wir, dass man von dort abseilen kann. Die nächste uns entgegenkommende Seilschaft frage ich, ob das so ist. Der Bergführer bestätigt unsere Vermutung.
Der Grat ist nun stärker geneigt und nicht mehr so anspruchsvoll. So langsam wird mir klar, dass wir den Gipfel erreichen werden, und das gibt mir neuen Schub. Nach einer Weile geht der Fels in Firn über, und die letzten vielleicht 150 Höhenmeter werden von einem schönen Firngrat gebildet. Kurz vor dem Gipfel verlassen wir dann die Wolken.


Auf dem Firngrat kurz vor dem Gipfel

Um 09:50 Uhr stehen wir auf dem Gipfel und sind glücklich über den gelungenen Aufstieg. Aus dem Wolkenmeer rings um uns ragen nur die höchsten Spitzen empor: Matterhorn, Täschhorn, Dom, Weißhorn. In der Ferne sind Grand Combin und die Gipfel der Mont Blanc-Gruppe zu sehen. Wir gönnen uns einen kleinen Snack und eine Viertelstunde Pause, bevor wir uns an den Abstieg machen.

Auf dem Gipfel, die Schräglage ist dem Platzmangel geschuldet

Das Matterhorn schaut hinter mir aus dem Wolkenmeer hinaus


Bis zum dritten Turm ist alles klar und schnell gemacht. Jetzt gehen wir an dessen Abbruch und finden die erste Abseilstelle. Das Abseilen an einem Grat entlang ist nicht ganz ohne, da die Gefahr droht, in eine der beiden Flanken zu pendeln. So lassen wir uns vorsichtig zur nächsten Abseilstelle ab.

Abseilen am Grat

Wir bleiben jetzt bis zum ersten Turm immer am Grat und seilen fast durchgehend ab. Die kurzen Stücke dazwischen gehen wir gesichert. Am ersten Turm folgen wir der Aufstiegslinie und nutzen die Stangen zum Abseilen.

Abseilen vom ersten Turm

So lassen wir die Hauptschwierigkeiten hinter uns.

Konzentriertes Gehen nach den Türmen

Abklettern am Grat


Hinter mir der erste Turm

Hinter Jan Oliver Matterhorn links und Dent d'Herens rechts

Was nun folgt, ist zwar technisch nicht schwer, aber immer noch ausgesetzt und unsere volle Konzentration erfordernd. An den letzten Felsen des Südgrates machen wir noch einmal Rast und gönnen uns ein paar Landjäger, die hier so gut schmecken wie sonst nirgends auf der Welt.
Wir haben nun noch rund 400 Höhenmeter bis zur Hütte, die wir nach zehneinhalb Stunden um 15:05 Uhr wieder erreichen. Natürlich wollen wir noch ins Tal hinunter, so dass wir nicht allzu lange verweilen können. Daher gönnen wir uns noch einen Tee und eine Tafel Schokolade, die J.O. bis hierhin mitgeschleppt hat, packen unsere Sachen zusammen, schultern die viel zu schweren Rucksäcke und machen uns um 16:00 Uhr an den Abstieg.

Kurz nach dem Aufbruch noch ein Rückblick zur Hütte

1700 Höhenmeter wollen jetzt noch von unseren schon leicht mitgenommenen Knien abgefedert werden. Aber mit einem Gipfel wie dem Dent Blanche in der Tasche kann uns das auch nicht mehr schrecken. Auf einem der zahlreichen Firnfelder mache ich dann noch kurz Bekanntschaft mit der schmirgelnden Eigenschaft von nassem Firn. Außerdem müssen wir feststellen, dass der Gletscherbach, den wir gestern noch einfach überqueren könnten, heute unpassierbar ist. Das zwingt uns zu einem kleinen Umweg. Trotzdem erreichen wir nach vier Stunden wohlbehalten und mit protestierenden Knien unser Auto.
Jetzt heißt es, noch eine gute Stunde ohne einzuschlafen zu unserer Unterkunft an der Passstraße zum Großen St. Bernhard zu fahren. Um kurz vor 22:00 Uhr ist uns auch das gelungen. Der Tag geht mit einer großen Portion Spaghetti und dem Gefühl, einen besonderen Alpengipfel bestiegen zu haben, zu Ende.

Kommentare

  1. Wow, Glückwunsch! Scheint eine echt anspruchsvolle Tour gewesen zu sein.

    Viele Grüße und weiterhin viel Erfolg!

    Lucien

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