Grand Combin, 4314m -- Meitin-Grat

Wie meistens angesichts einer großen Tour bin ich schon vor dem Klingeln des Weckers wach, obwohl es erst 2:45 Uhr ist. Wortlos wühlen wir uns aus den Schlafsäcken, ziehen die inzwischen nicht mehr ganz frischen Klamotten an, richten die Decken und Kopfkissen her und stolpern in den Aufenthaltsraum. Dort steht das Frühstück bereits auf dem Tisch: Brot, Butter, Marmelade, ein Glas Orangensaft, Kaffee oder Tee. Nichts, was einen vom Hocker haut, aber andererseits bekomme ich um diese Uhrzeit auch nicht wirklich viel hinunter.
Es ist 3:30 Uhr, als wir aufbrechen. Vor uns ist schon die Führerseilschaft unterwegs, während die Russen noch ein wenig länger brauchen (eine erstaunliche Tatsache, sind doch sonst immer wir die letzten). Draußen ist es ziemlich warm und windstill. Noch ist der Mond am Himmel und spendet uns so viel Licht, dass wir fast auf die Stirnlampen verzichten können. Problemlos gehen wir bis zum Beginn des Gletschers. Hier legen wir die Steigeisen an, da der Firn doch ziemlich hart ist. Nicht lange, und wir haben ihn hinter uns gelassen und stehen am Fuß einer steilen Schuttrippe, die bis zum Col du Meitin hinaufreicht. Die Qualität des Untergrundes lässt schon nichts Gutes über die der Felsen am Grat vermuten. Aber immerhin finden wir hier eine fast durchgehende Spur, die das Aufsteigen in dem ansonsten sehr lockeren Gelände etwas erleichtert.
Nach zwei Stunden erreichen wir den Grat etwas oberhalb des Cols, wo die Kletterei nun beginnen soll. Wir sind hier ca. 3650m hoch, so dass es bis zum Ende des Grates noch über 500 Höhenmeter sind. Inzwischen beginnt es zu dämmern, doch da wir an einem Westgrat unterwegs sind, wird uns die Sonne nicht erreichen, bevor wir auf dem ersten Gipfel, dem Combin de Valsorey stehen werden.
Der Meitin-Grat wird durch drei Aufschwünge charakterisiert, die von unten nach oben in ihrer Höhe abnehmen. Grundsätzlich werden alle drei mehr oder weniger rechtsseitig umgangen. Laut Führer soll der Fels dabei an den schwierigen Stellen - es geht bis maximal III+ - fest sein. Dazwischen soll es aber auch viel loses Gestein geben, weswegen man sehr umsichtig steigen soll, um nicht Nachfolgende durch Steinschlag zu gefährden.


In der Umgehung des ersten Aufschwungs

Wir nehmen den Grat allerdings ein wenig anders wahr. Festen Fels finden wir eigentlich nirgends, nur die Brüchigkeit variiert von geht so bis ganz übel.

Um 6:30 Uhr am ersten Aufschwung, im Hintergrund Gipfel aus der Mont Blanc-Gruppe

Am ersten Aufschwung bemühen wir uns, nicht zu weit nach rechts zu gehen. Am Grat selbst ist der Fels ein wenig solider, allerdings sind hier die Schwierigkeiten auch höher.


Klettern am ersten Aufschwung
 
Wir haben das Seil ausgepackt

Daher entscheiden wir uns auch, eine besonders steile Passage am Seil zu gehen und zu sichern. Die Führerseilschaft ist inzwischen ein Stück vor uns, während die Russen ungefähr auf unserer Höhe sind.
Nach dem ersten Aufschwung folgt ein kurzer waagerechter Grat, der uns an den zweiten Aufschwung bringt. Laut Führer soll man hier nach rechts queren bis an den Fuß einer Verschneidung mit auffällig weißen Felsen. In der geht es dann mit mäßigen Schwierigkeiten (II+) aufwärts.

Das waagerechte Gratstück vor dem zweiten Aufschwung

Wir finden tatsächlich ein dieser Beschreibung entsprechendes Gelände, das allerdings recht nah am eigentlichen Grat ist. Also steigen wir dort hoch. Wir werden nun aber ziemlich schnell wieder an den Grat gedrängt, wo wir an einen wirklich steilen Aufschwung kommen. Hier gehen wir erneut für eine Seillänge gesichert und haben dann den Firngrat vor dem letzten Aufschwung erreicht. Dort erwarten uns keine großen Schwierigkeiten mehr.

Nach dem zweiten Aufschwung, hinten links der Mont Blanc

Die letzten steilen Meter zum Combin de Valsorey

Nach fünfeinhalb Stunden stehen wir um 9:00 Uhr auf dem Gipfel des Combin de Valsorey (4184m). Hier kommen uns die beiden Schweizer gerade wieder vom Hauptgipfel entgegen.

Der Gipfel des 4187m hohen Combin de Valsorey

Blick hinüber zum 4314m hohen Combin de Grafeneire (der Hauptgipfel ist noch verdeckt)

Wir rasten nur kurz und gehen dann hinunter in den Col zwischen den beiden Gipfeln. Von hier sind es noch einmal fast 200 Höhenmeter bis zum höchsten Punkt. Aber in dieser tollen Umgebung macht uns dieser Anstieg nicht viel aus.


Kurz vor dem Hauptgipfel

Um 9:40 Uhr sind wir auf dem Gipfel und freuen uns über den gelungenen Anstieg. Inzwischen quellen die Wolken ringsum schon sehr stark, so dass der Blick nicht ungetrübt in die Ferne schweifen kann. Trotzdem können wir gerade die Berger der Mont-Blanc-Gruppe wunderschön einsehen.

Auf dem Gipfel des Combin de Grafeneire

Am Mont Velan quellen mächtige Wolken

Obwohl es windstill und nicht kalt ist, bleiben wir nur kurz, da wir um den langen und anspruchsvollen Abstieg wissen und auch nicht klar ist, wie lange das Wetter noch halten wird.

Im Abstieg, vor uns der Valsorey-Gipfel

In den Felsen des Valsorey-Gipfels stärken wir uns noch ein wenig, und dann heißt es, den Meitin-Grat wieder hinunterzusteigen.

Der oberste Aufschwung liegt bereits wieder hinter uns

Wir seilen an einigen schweren Stellen ab. Besonders am zweiten Aufschwung halten wir uns nun deutlich weiter links als beim Aufstieg und finden so auch das uns vom Führer genannte Couloir mit einem Fixseil darin. Auch hier seilen wir lieber ab und erreichen gerade so die Felsen jenseits der firngefüllten Rinne.
Den oberen Teil des ersten Aufschwungs seilen wir erneut ab.

Interessanter Sicherungspunkt

Ausgesetzte Abseilstelle am ersten Aufschwung
Abseilen am ersten Aufschwung
Danach folgt noch eine ganze Weile anspruchsvolles Gratgelände, bis wir um 13:20 den Col du Meitin wieder erreicht haben. Es ist nun schon etwas neblig geworden, aber wirkliche Probleme macht uns das Wetter zum Glück nicht.
Der Abstieg zur Hütte ist nur noch Formsache, wobei die steile Rippe vom Col hinunter sich jetzt teilweise als Schlammrutsche entpuppt. Um 13:40 Uhr sind wir wohlbehalten zurück und beginnen sogleich, unsere Rucksäcke für den Abstieg ins Tal zu packen. Rundherum und besonders in Richtung Mont Blanc sieht es nun schon ziemlich dunkel aus, und wir hoffen, dass wir noch trocken am Auto ankommen werden.

Zeit für eine Tafel Schokolade muss sein!

Materialsammlung

Um 15:30 Uhr brechen wir auf. Irgendwie kommt uns der Weg heute länger vor als gestern beim Aufstieg. Immerhin bleibt das schlechte Wetter offenbar drüben am Mont-Blanc hängen, und so kommen wir erschöpft, aber trocken und zufrieden über die gelungene Tour um 18:20 Uhr am Auto an.

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